Asiatische Umgangsformen

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Mao Ya Si
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Asiatische Umgangsformen

Beitrag von Mao Ya Si » 22.08.2007, 17:38

Zai jian!

Tobias

alias Mao Ya Si, Regierungsbeamter
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Boris
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Beitrag von Boris » 23.08.2007, 13:24

nun, für uns doch eher unpassend, ist doch stark auf buisness und die heutige Zeit ausgerichtet, von wegen Visitenkarten etc.
Es mag sein, dass wir durch das Wissen anderer gelehrter werden,
weiser werden wir nur durch uns selbst.
-Michel de Montaigne-

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Mao Ya Si
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Beitrag von Mao Ya Si » 23.08.2007, 13:29

Hi Boris,

klar kann man nicht jedes Wort übernehmen, aber Einiges steckt für unser Spiel drin! :)
Zai jian!

Tobias

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Mao Ya Si
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Beitrag von Mao Ya Si » 23.08.2007, 13:30

Weiteres:

Denkweisen & Spielregeln

Im Westen denken wir überwiegend sequentiell, in linearen Kausalketten. Wir neigen deshalb dazu, komplexe Probleme in eine Abfolge von Einzelschritten zu unterteilen (Projektpläne, Meilensteine, Roadmaps, ...) und diese linear und weitgehend nacheinander abzuarbeiten. Chinesen, sagt man, denken ganzheitlich und zerlegen Abläufe nicht in Einzelschritte und komplexe Zusammenhänge nicht in Teilprobleme. Sie springen deshalb für unsere Begriffe oft zwischen einzelnen Punkten hin-und-her, und wir suchen vergeblich nach einem Plan und einem System. Für unsere Begriffe können (und wollen) Chinesen nicht planen. Aber Vorsicht: Trotzdem bringen sie Erstaunliches zustande! Im Improvisieren sind sie uns nämlich weit überlegen. Welcher Deutsche würde es wagen, nach China zu fliegen, ohne eine Hotelreservierung zu haben. Chinesische Bekannte von mir flogen ohne weiteres nach Europa und kümmerten sich um Hotelzimmer erst nach der Ankunft. Und sie fanden sogar noch ein besonders preisgünstiges.

Chinesische Fabriken und Büros sind für unser Organisationsverständnis oft völlig unrationell aufgebaut. Wichtiger als Arbeitsabläufe zu rationalisieren ist es für Chinesen, Yin und Yang in Einklang zu bringen, die Regeln des Feng Shui einzuhalten und in der Sitzordnung die Hierarchie widerzuspiegeln.

Wie das wirklich funktioniert mit dem anderen Denken der Chinesen, habe ich nie richtig begriffen. Deshalb kann ich es auch nicht erklären. Es ist eben sehr schwierig, nachzuvollziehen, was in anderer Leute Köpfen vor sich geht. Das sie aber irgendwie anders denken, kann man häufig merken, denn sie kommen oft aufgrund gleicher Fakten und Informationen zu völlig anderen, für uns überraschenden Folgerungen. Ich bilde mir auch nicht ein, China nun völlig begriffen und "die Chinesen" vollständig durchschaut zu haben. So etwas denken nur Leute, die wenig Erfahrung im Umgang mit Chinesen haben. Mir haben Westler, die seit mehr als 10 Jahren in China gelebt haben, die Sprache beherrschen und zum Teil mit chinesischen Partnern/-innen verheiratet sind, gesagt, dass sie immer noch Überraschungen erleben und sicher sind, dass sich das auch nie ändern wird.


Privatsphäre

Privatsphäre ist für Chinesen ein Fremdwort. In China ist alles öffentlich. Chinesen wissen alles über die Menschen in ihrer näheren Umgebung. Natürlich wissen sie auch, dass die alles über sie wissen. Das stört aber offensichtlich niemanden, es wird für normal und selbstverständlich gehalten. Die Forderung nach einem Schutz der Privatsphäre stößt bei den meisten Chinesen, mit denen ich darüber gesprochen habe, auf schlichtes Unverständnis. Das ist ein ihnen fremder Gedanke.

Bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich festgestellt, dass alle möglichen Leute auch über meine Frau und mich erstaunliche Dinge wussten, bei denen ich mir absolut nicht erklären konnte, wie sie zu diesen Informationen gekommen waren. Aber man hat als Ausländer in China normalerweise eine Haushaltshilfe, und es gibt zum Beispiel Gärtnerinnen, die im Garten Unkraut zupfen und den Rasen mähen und zwischendurch auch ganz ungeniert in's Wohnzimmerfenster gucken, was diese komischen Ausländer da so machen. Wächter gibt es auch in den Wohngebieten. Die sehen genau, wann man kommt und geht und wer einen wann besucht. Chinesen haben mir glaubhaft versichert, dass es für sie kein Problem sei, meinen Kontostand zu erfahren. Ein Anruf bei der Bank würde genügen. Ausländer und andere Außenseiter bekommen solche Informationen über Chinesen selbstverständlich nicht.

Eines Tages kam die Mitarbeiterin unseres Unternehmens, die unter anderem für die Fahrzeuge und Fahrer verantwortlich war, zu mir und berichtete mir, dass mein Fahrer ein Strafmandat bekommen hatte. Sie wollte von mir nun erfahren, ob dies von der Firma bezahlt würde. Ich habe ihr erklärt, dass das in Deutschland nicht üblich sei und sie gefragt, wie so etwas in chinesischen Unternehmen gehandhabt würde. Darauf bekam ich prompt zur Antwort: "Über chinesische Chefs wissen die Fahrer soviel, dass die Chefs sofort das Strafmandat bezahlen würden."

Dieses sich gegenseitig "in die Töpfe gucken" hat Ähnlichkeit mit den Verhältnissen, wie sie in Deutschland vielleicht noch in kleinen gewachsenen Dorfgemeinschaften existieren. Einer der Gründe dafür, dass es in China auch heute kaum Privatsphäre gibt, ist vielleicht auch, dass die chinesische Gesellschaft selbst heute noch überwiegend eine bäuerliche Gesellschaft und die Industrialisierung noch eine sehr junge Entwicklung ist. Allerdings wurde und wird diese totale Transparenz sicher auch aus politischen Gründen gefördert. In totalitären Staaten ist die Überwachung der Bürger bis hin zu ihrem Denken zur Machterhaltung dringend nötig. Dazu waren bis in die jüngste Vergangenheit alle Chinesen in festgefügte Wohn- und Arbeitsgemeinschaften (Danwei) eingebunden, die eine weitgehende Kontrolle und Überwachung in allen Lebenslagen sichergestellt haben.


Schlechte Nachrichten

Fehler werden in China fast als Verbrechen eingestuft. Deshalb werden diese auch nie direkt angesprochen, sondern oft deutlich erkennbar bewusst übersehen. Diskussionen über Fehlleistungen werden so indirekt geführt, dass Nicht-Chinesen meist gar nicht klar wird, worum es eigentlich geht. Chinesen verstehen das aber natürlich perfekt, denn sie sind von der Kindheit an auf diese Ausdrucksweise trainiert. Es kann sehr unterhaltsam sein, zu beobachten, wie kunstvoll Chinesen um eine ihnen unangenehme Sache herumreden.

Der Spaß ist allerdings nicht so groß, wenn es um etwas geht, das für einen selbst wichtig ist. Ich habe einige Zeit und etliche Reinfälle benötigt, bis ich wenigstens einigermaßen sicher in der Lage war zu erkennen, wenn meine chinesischen Mitarbeiter mich über akute oder sich abzeichnende Probleme informieren wollten. Es ist wohl bis vor nicht allzu langer Zeit in China noch üblich gewesen, die Überbringer schlechter Nachrichten zu köpfen. Vielleicht erklärt das die Hemmungen der meisten Chinesen, Negatives zu berichten, selbst wenn sie eindeutig keine Schuld daran haben. Auch das Überbringen schlechter Nachrichten kann Gesichtsverlust für den Überbringer bedeuten!

Mir fiel bei solchen Gelegenheiten immer ein Witz ein, den ich einmal gehört habe: Der Sohn hat gerade den Führerschein gemacht und darf zum ersten Mal alleine mit dem Auto los. Als er zurückkommt sagt er zu seinem Vater: "Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die gute: Der Airbag in deinem Auto funktioniert prima." Das ist ziemlich genau die Art, wie einem in China schlechte Nachrichten vermittelt werden. Zu Anfang bin ich etliche Male darauf hereingefallen, weil ich auf diese indirekte Art nicht eingestellt war. Im Laufe der Zeit habe ich mir angewöhnt, alle, auch harmlos klingende Botschaften bis in's letzte Detail zu hinterfragen, um herauszufinden, ob nicht irgendwo der sprichwörtliche Pferdefuß versteckt war.

Noch schwieriger ist es, selbst mit dieser Ausdrucksweise umzugehen. Einigermaßen gebildete und im Umgang mit Ausländern erfahrene Chinesen erwarten zwar nicht, dass wir dieses Spiel perfekt beherrschen. Trotzdem kann man leicht durch direkte kritische Äußerungen, die bei uns völlig im Rahmen der Norm wären, sehr aggressiv und beleidigend wirken. Das gilt auch für kritische und negative Äußerungen über China oder die jeweilige Stadt und Provinz! Es spricht nichts dagegen, Kritik so weich zu formulieren, dass sie bei uns kaum noch verstanden würde: Die Chinesen verstehen das sehr wohl.

Mir ist es im Gegenteil manchmal passiert, besonders in der ersten Zeit in China, dass ich Chinesen offenbar zu nahe getreten bin, mit Aussagen, die ich gar nicht kritisch gemeint hatte. Das ging so weit, dass selbst Aussagen, die als Lob gedacht waren, als Kritik verstanden wurden. Man hat manchmal das Gefühl, dass Chinesen ständig nur darauf horchen und analysieren, ob in dem Gesagten nicht irgendein kritischer Unterton versteckt ist. Manchmal habe ich meine Mitarbeiter absichtlich erschreckt, indem ich mich selbst laut und deutlich kritisiert habe. Das führte jedesmal zu sehr großer Verlegenheit bei allen Beteiligten. Einerseits dürfen sie ja dem Chef nicht einfach widersprechen, andererseits können sie in so einem Fall auch nicht zustimmen.


Ablehnung

Auch Nein-Sagen ist äußerst unhöflich! Eine direkte Ablehnung stößt denjenigen, dessen Ansinnen abgelehnt wird, zurück und lässt ihn Gesicht verlieren. Auch Ablehnung wird deshalb nur sehr indirekt vorgebracht. Ausreden sind ein übliches Mittel, um Ablehnung auszudrücken. Je dämlicher die Ausrede ist, desto deutlicher ist das Nein. Ausländer, die diese Regel nicht verstehen, fühlen sich deshalb oft getäuscht, während die Chinesen meinen, sie hätten ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie wollen und was nicht. Aber auch bei Chinesen führt dieser kulturelle Unterschied oft dazu, dass sie Ausländer missverstehen. Wir neigen ja dazu, ausführliche, rationale - oder wenigstens so klingende - Begründungen zu liefern. Besonders, wenn wir jemandem klar machen müssen, dass etwas, was der gerne möchte, einfach nicht machbar ist. Da Chinesen keinen Sinn für solche unserer Meinung nach zwingend logischen Argumentationen haben, halten sie alles, was wir sagen für Ausreden. Wenn wir uns also bemühen, zu erklären, dass wir nicht können, verstehen die Chinesen, dass wir nicht wollen.

Ich habe in den 1990er Jahren mit einem chinesischen Staatsbetrieb ungefähr 3 Jahre lang Gespräche über ein Joint Venture geführt. Nachdem viele Details mühsam geklärt waren und wir neutrale Informationen über die Marktposition des potentiellen Partners eingeholt hatten, haben wir entschieden, dass diese Zusammenarbeit für uns nicht in Betracht kommt. Diese Entscheidung habe ich dann versucht, den chinesischen Gesprächspartnern zu erklären, ohne sie vor den Kopf zu stoßen und ohne dauerhaft alle Brücken zu verbrennen. Offiziell sind diese Verhandlungen nie beendet worden. Wir haben uns lediglich zu weiteren internen Beratungen in den beteiligten Firmen getrennt, wohl wissend, dass es nie ein weiteres Treffen geben würde. Auf diese Weise konnte ich vermeiden, die chinesischen Gesprächspartner, die großen Wert auf eine Kooperation mit einem westlichen Unternehmen legten, durch unsere negative Entscheidung zurückzuweisen. Persönlich haben wir uns in Freundschaft getrennt, auch wenn sie sicher über das Scheitern der Verhandlung nicht erfreut waren. Dadurch, dass die Gespräche nicht offiziell beendet wurden, mussten sie gegenüber ihren Vorgesetzten kein Scheitern eingestehen, sondern hatten Zeit, einen neuen Verhandlungspartner zu finden und ihr Gesicht zu wahren.


Individualismus

Der im Westen hochgeschätzte Individualismus ist Chinesen eher fremd und er wird auch negativ gesehen. Chinesen neigen dazu, sich in Gruppen einzuordnen. Als Einzelkämpfer fühlen sie sich unwohl. Man kann auch schon rein äußerlich feststellen, dass Chinesen fast immer in Gruppen auftreten, auch in China. So ist es Chinesen auch erkennbar peinlich, wenn sie aus ihrer Gruppe herausgehoben werden, auch durch Lob und Anerkennung. Allerdings sollte einen das keineswegs davon abhalten, Chinesen "über den grünen Klee" zu loben. Lob in einer Form, die uns völlig übertrieben vorkommt und für uns schon an Lobhudelei grenzt, ist in China üblich. Nur hat der Gelobte das Lob sofort entschieden zurückzuweisen, sich in Bescheidenheit zu üben, das Lob an die jeweilige Gruppe weiterzuleiten und den eigenen Beitrag kleinzureden. Man selbst sollte sich aber auch nicht zu viel darauf einbilden, wenn man von Chinesen gelobt wird. Das gehört zu den gesellschaftlichen Spielregeln.


Vorurteile

Einer der wenigen guten Ratschläge, die ich vor meinem Chinaaufenthalt bekam, war der eines Chinesen, der schon mehrere Jahre in Deutschland gelebt hatte, das Problem also von der anderen Seite her kannte: "Versuchen Sie nicht, sich in China wie ein Chinese zu verhalten! Erstens schaffen Sie es nicht und zweitens würden Sie die Chinesen sehr enttäuschen. Die erwarten nämlich, dass Sie sich wie ein Deutscher verhalten. Das heißt, so wie sie meinen, dass sich Deutsche verhalten."

Damit hat er eine weitere Schwierigkeit angesprochen: Wie in allen Ländern existieren auch in Chine Vorurteile über andere Länder und Menschen. Und wie alle Vorurteile sind sie durch Tatsachen kaum beeinflussbar. Lieber wird die Wahrnehmung der Tatsachen den Vorurteilen angepasst. Fügt sich ein Verhalten nicht in's Schema, wird es als Ausnahme eingestuft. Die Vorurteile über Deutsche sind übrigens überwiegend positiv. Es sind die üblichen: Deutsche sind zuverlässig, ehrlich und pünktlich. Allerdings sind sie auch ein wenig stur und unflexibel.

Ein Mitarbeiter, der früher bei einem Staatsunternehmen viele Reisen hochrangiger Delegationen in westliche Länder organisiert und begleitet hatte, hat mit erzählt, was Chinesen in interkulturellen Seminaren über die Sitten in Deutschland beigebracht wird. Es war haarsträubend. Soweit überhaupt ein Realitätsbezug vorhanden war, zielte er auf Gebräuche, die vielleicht noch in der Vorkriegszeit üblich waren. Besonders amüsant fand ich, dass Chinesen immer wieder lobend erwähnten, dass in Deutschland die Eisenbahn absolut pünktlich fahre. Ich bin nämlich bei meinen Deutschlandbesuchen viel Eisenbahn gefahren, da ich ja kein Auto in Deutschland hatte. Ich fürchte, die Qualität dessen, was Deutschen in den einschlägigen Seminaren über China vermittelt wird, ist auch nicht viel besser.

Diese Überlegungen sollten aber niemand dazu verführen, chinesische Sitten und Kultur vollständig zu ignorieren. Reisenden, die nur wenige Tage in China sind, mag das noch weitgehend gelingen. Schließlich gibt es ja genügend Chinareisende, die mit der festen Überzeugung zurückkommen, in China sei heute eigentlich alles genauso wie bei uns. Denen ist nicht klar zu machen, dass sie von China nur die Oberfläche gesehen haben. Und die ist hochglanzpoliert, aber hauchdünn. Wenn man im Lande lebt, ist es unmöglich, sich nicht mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Die Chinesen erwarten mit Recht, dass wir ihre Kultur und Sitten respektieren. Und sie schätzen es sehr, wenn wir wenigstens Interesse daran zeigen.


Lärm

Wir hatten immer den Eindruck, dass China ein lautes Land ist. Der Lärm ist allgegenwärtig. Chinesen scheint er aber durchweg nicht zu stören. Ich habe vielmehr oft festgestellt, dass sie ihn nicht einmal wahrnehmen. Wenn ich mich irgendwo über Lärm beklagt habe, haben die Chinesen mich meistens erstmal verständnislos angesehen, erkennbar gelauscht und dann bestätigt, dass es laut war. Mich hat es zum Beispiel immer sehr gestört, dass überall, in Geschäften, Restaurants und auch in Privatwohnungen, Fernseher im Hintergrund laufen. Nicht nur das ständig wechselnde Bild ist störend, besonders, wenn ich es nur aus dem Augenwinkel sehe, sondern auch der Ton, der oft sehr laut eingestellt wird. Chinesen stört das überhaupt nicht bei der Unterhaltung. Meinen gelegentlichen Bitten in vertrautem Kreis, das Gerät abzustellen, wurde mit deutlichem Unverständnis entsprochen.
Eine andere Lärmquelle, die in China außerordentlich beliebt ist, ist Karaoke. Ich weiß nicht, ob die Chinesen mehrheitlich unmusikalisch sind. Jedenfalls heißt Karaoke in China: Die Männer brüllen und die Frauen kreischen; Gesang habe ich da nur selten herausgehört. Eine Rolle spielt dabei wohl, dass die Karaoke-Veranstaltungen meistens nach dem Dinner stattfinden. Und zum Dinner hat es natürlich reichlich MaoTai gegeben.


Emanzipation

Von Frauen werde ich oft gefragt, wie es meiner Ansicht nach in China mit der Emanzipation (der Frauen natürlich) steht. Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Mein Eindruck ist, dass sie im Berufsleben eher weiter fortgeschritten ist als in Deutschland. Ich habe relativ viele Frauen in höheren und hohen Führungspositionen kennengelernt, vor allem in der staatlichen Verwaltung und in Staatsbetrieben. Im Privaten und in den Familien dagegen scheint mir China noch weit zurück zu sein. In den Familienhierarchien stehen die Frauen nach-wie-vor am unteren Ende und junge Frauen müssen sich sogar noch den älteren unterordnen. Immer noch wollen alle in China möglichst Söhne. Auf dem Lande ist es auch heute noch erlaubt, ein zweites Kind zu bekommen, wenn das erste ein Mädchen ist. Es soll häufig vorkommmen, das weibliche Föten abgetrieben werden. Leider ist ja heute eine frühzeitige Geschlechtsbestimmung auch in China möglich. Es ist den Ärzten zwar strikt verboten, dass Geschlecht Ungeborener bekanntzugeben, aber Verbote werden eben in China recht oft nicht befolgt. Es sollen sogar noch weibliche Säuglinge ausgesetzt und umgebracht werden. Selbstverständlich ist das auch in China ein Verbrechen. Aber auch in China gilt der Spruch: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Man darf nie vergessen, dass weite Teile Chinas noch weitgehend unterentwickelt sind. Beijing, Shanghai und Guangzhou sind nicht China. Der Trend zum Sohn wird den Männern in China in Zukunft einen empfindlichen Frauenmangel bescheren. Das ist eines der vielen ungelösten gesellschaftlichen Probleme, die auf das Land zukommen.

Die chinesische Ein-Kind-Politik, die strikt nur für die städtische Bevölkerung gilt, wird im Westen viel kritisiert. Meinem persönlichen Eindruck nach sehen die Betroffenen das durchweg viel realistischer und unideologischer. Die meisten jungen Chinesinnen und Chinesen, mit denen ich darüber gesprochen habe, sehen die Notwendigkeit ein. Eine junge Mitarbeiterin, die gerade ihr erstes und einziges Kind bekommen hatte - ein Mädchen übrigens - sagte mir: "Ich hätte auch gerne mehr Kinder, aber ich verstehe, dass es nicht geht. Wenn die Bevölkerung in China weiter explosionsartig wächst, schaffen wir es nie, die Armut zu überwinden. Wir wollen nicht so sein wie Indien!" Mir scheint das die Mehrheitsmeinung zu sein. Anderslautende Kommentare von Chinesinnen und Chinesen, die in westlichen Medien oft zitiert werden, sind offensichtlich bewusst gesucht.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass viele westliche Journalisten mit fertigen Drehbüchern und Manuskripten nach China reisen und dort solange suchen, bis sie irgendwo die gewünschten Bilder filmen können und bis sie jemand finden, der oder die ihnen das in's Mikrophon spricht, was sie gerne hören wollen.


Essen und Trinken

Essen hat in China einen sehr hohen Stellenwert. Gemeinsame Essen sind zum Aufbau sozialer Kontakte, einschließlich Geschäftsbeziehungen, unverzichtbar. Leider sind sie, besonders in den nördlichen Teilen Chinas, meist mit erheblichem Schnapskonsum (MaoTai) verbunden. Es ist in China nicht unehrenhaft, besoffen unter den Tisch zu fallen. Das Kneifen schadet eher. Allerdings kann man Alkohol auch in China mit Hinweis auf gesundheitliche Probleme oder grundsätzliche Abstinenz durchaus ablehnen. Dann muss man aber konsequent sein. Ein Gläschen und nicht mehr geht nicht! Ob man ohne Alkohol genauso schnell eine Beziehung zu Chinesen aufbauen kann, mag ich nicht beurteilen. Das ist sicher auch personenabhängig. Apropos Emanzipation: Ich habe einige erschreckend trinkfeste Chinesinnen kennengelernt. Viele chinesische Frauen lehnen es aber ab, Alkohol zu trinken.

Tischgesellschaft
Amüsant fanden wir immer die Pünktlichkeit der Chinesen, wenn es um das Essen geht: Um Punkt 12 Uhr mittags und 18 Uhr abends geht gar nichts mehr. Dann muss gegessen werden, und zwar richtig, mit allem was dazugehört. Amerikanische Sitten, wie Essen während einer Besprechung, sind völlig unmöglich. Meine Bemühungen, eine Möglichkeit zu finden für einen schnellen Lunch zwischendurch, waren erfolglos. Zwei Stunden muss man mindestens dafür einplanen. Ich hatte immer den Eindruck, dass Chinesen, wenn sie sich irgendwo hinsetzen, zwanghaft essen müssen. Meine Frau und ich sind immer dumm aufgefallen, wenn wir in einem Restaurant am Nachmittag nur etwas zu trinken bestellt haben. Die Bedienungen konnten es absolut nicht verstehen, dass diese komischen Langnasen nicht essen wollten. Auch die Bezeichnung Cafe im Namen bedeutet in China längst nicht immer das Gleiche wie bei uns. Allerdings sind in unserem Wohnort in der letzten Zeit eine Reihe richtiger Cafes entstanden. Sie sind bei den westlich orientierten jungen Chinesen "angesagt". Mehrere haben mir zwar gestanden, dass sie den Kaffee gar nicht mögen, sie trinken ihn aber, weil er "in" ist.

Chinesen sind sehr stolz auf die chinesische Küche. Sie ist tatsächlich an Vielfalt nicht zu übertreffen und vieles schmeckt auch Nicht-Chinesen ausgezeichnet. Die Küche ist, wie auch viele andere Dinge, regional sehr unterschiedlich. Es ist immer gut, die chinesische Küche im Allgemeinen und die lokale im Besonderen zu loben.
Ich habe in Deutschland mehrfach erlebt, welche Schwierigkeiten Chinesen mit fremdem Essen haben. Mitarbeiter von mir, die bei unserer Mutterfirma in Deutschland waren, haben mir das bestätigt. Erstaunlicherweise haben aber die meisten Chinesen wenig Verständnis für den logischen Umkehrschluss, dafür nämlich, dass Ausländer auch mit einigen chinesischen Gerichten Probleme haben. Trotzdem muss man in China nicht alles essen, wie oft behauptet wird. Ich habe einige Speisen, z. B. Hund und Katze immer abgelehnt mit dem Hinweis, dass das für uns keine essbaren Tiere seien. Ich hatte nie den Eindruck, dass mir das geschadet hat. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, das auch Chinesen eine klare Haltung, die höflich zum Ausdruck gebracht wird, mehr imponiert als Herumeierei und Rückgratlosigkeit. Oft habe ich den Eindruck gehabt, dass Chinesen bewusst Gerichte bestellen, von denen sie wissen, dass sie für Ausländer problematisch sind, um die Gäste zu provozieren. Sicher bin ich allerdings nicht. Es gilt andererseits in China als der Gipfel der Gastfreundschaft, besonders exotische und dann auch teure Gerichte servieren zu lassen. Mir hat die Art, wie in China gegessen wird, mit lautem Schmatzen, Schlürfen, Rülpsen und ständigem Spucken, immer mehr Probleme gemacht, als die Speisen an sich.

Aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, ist es für Chinesen wichtig, dass jeder Gast das gleiche Essen mag wie sie. Ein typisches Fragenspiel beim Kennenlernen:

"Hallo, where do you come from?"
"Do you like China?"
"Do you like Chinese food?"

In China ist es äußerst unhöflich, einfach zu trinken. Man prostet immer jemandem oder allen zu, bzw. man trinkt, wenn einem zugeprostet wird. Man sollte sich auch nie selbst, und vor allem nicht alleine, Nachschenken. Ein beliebter Trick der Chinesen ist es, dem Gast aus dem Ausland einzeln zuzuprosten. Da sie in China ja immer in der Mehrzahl sind, trinkt dadurch der Gast viel mehr als jeder der Chinesen. Ich habe das immer dadurch abgebogen, dass ich stets mit allen angestoßen habe, wenn mir einer zugeprostet hatte. Eine Ausnahme muss man höchstens mal beim Ranghöchsten der Chinesen machen. Sie haben dann schnell begriffen, dass ich ihren Trick durchschaut hatte. Sowas gibt Gesicht. Es kostet übrigens auch kein Gesicht, wenn man am Ende 'rausgetragen werden muss. Allerdings sollte man schon eine gewisse Kontrolle behalten und nicht ausfallend werden.

Die übliche Aufforderung zum gemeinsamen Trinken heißt GamBei (oder GanBei, ich habe beide Versionen gesehen). Das weiß jeder, der jemals in China war. Und es bedeutet austrinken, das Glas leertrinken ohne abzusetzen. Ich habe öfter Chinesen gefragt, ob es auch ein Gegenstück zu unserem "Prost" oder "zum Wohl" gibt. Manche haben daraufhin irgendeine chinesische Wendung gesagt, aber andere haben sofort bestritten, dass das richtig ist. Offenbar gibt es das nicht, jedenfalls nicht allgemeinverbindlich. Mit Chinesen, die man besser kennt, kann man aber verabreden, dass nicht jedesmal ausgetrunken werden muss. Die Bedienungen in den Restaurants schenken immer sofort nach, wenn man auch nur einen Schluck getrunken hat. Die Gläser werden so vollgeschenkt, wie es die Oberflächenspannung der Flüssigkeit zulässt, oder auch darüberhinaus. Dadurch ist es unmöglich, einen Überblick zu behalten, wieviel man getrunken hat. Zwischen Bier, Wein und harten Getränken wird, was die Trinksitten angeht, keinerlei Unterschied gemacht. Chinesen haben auch keine Probleme damit, Zucker in den Wein zu rühren, oder ihn mit Limonade "zu verbessern". Bei vielen der in China angebotenen Weine macht das allerdings auch nichts aus. Ich habe zwar auch gute Weine aus chinesischer Produktion getrunken. Um sie zu finden braucht man aber einen Chinesen, der sich auskennt. Auch mit der Wahl der Trinkgefäße hat man in China keine größeren Probleme: Ich habe Bier und Tee aus Weingläsern genauso getrunken wie Wein aus dem Wasserglas.

Gute Dienste hat mir einmal der Hinweis des Dolmetschers geleistet, der Chef des Verhandlungspartners möge kein Bier. Daraufhin habe ich den Deutschen herausgekehrt und auf Bier zum Dinner bestanden, weil ich ja ohne nicht überleben könne. Daraufhin hielt sich der Alkoholkonsum in Grenzen. In Wirklichkeit trinke ich wenig Bier, aber jeder Chinese weiß natürlich, dass alle Deutschen keine andere Flüssigkeit als Bier zu sich nehmen.


Glaube und Aberglaube

In China existieren zwar fast alle Religionen, die es auf der Welt gibt, insgesamt spielt der Glaube aber eine untergeordnete Rolle.
Für lange Zeit war in der jüngerer Vergangenheit Religion in China verboten. Das hat nicht gereicht, um sie auszurotten, aber offiziell sind die meisten Chinesen Atheisten. Es hat in China auch vor der kommunistischen Machtübernahme keine Staats- oder Mehrheitsreligion gegeben, wie in den meisten europäischen Ländern. Die häufig aufgestellte Behauptung, im historischen China sei die Mehrheit budhistisch gewesen, ist meines Wissens nicht richtig. Auch die Budhisten waren immer eine Minderheit. Heute ist die Religionsausübung in China erlaubt, aber sie wird vom Staat erkennbar misstrauisch beobachtet und streng kontrolliert. Das Menschen an etwas anderes glauben als an die Partei, ist der offensichtlich nicht geheuer. Die offizielle katholische Kirche China's darf zum Beispiel nicht den Papst als Oberhaupt anerkennen. Der erkennt nämlich den Dalei Lama als religiöses Oberhaupt der Tibeter an. Und der ist in Beijing bekanntlich höchst unbeliebt. Stattdessen hat sie die kommunistische Partei als höchste irdische Authorität zu betrachten.

Viele Chinesen kompensieren den fehlenden Glauben mit einem soliden Aberglauben. Kein Grand Opening (Einweihung von irgendetwas, z. B. einem Geschäft) ohne den traditionellen Löwen- oder Drachentanz. Alle wesentlichen Ereignisse im Leben werden nach der chinesischen Astrologie terminiert. Wenn die Sterne günstig stehen, sieht man auf den Straßen eine Hochzeitsgesellschaft nach der anderen im Autokorso mit geschmückten Autos und viel Krach durch die Stadt fahren.
Das Jahr des Affen, 2004/2005 war ein gutes Jahr für Neugeborene. Tatsächlich ist - offiziellen Statistiken zufolge - die Geburtenrate in ganz China erheblich angestiegen.
Es gibt bezüglich des Aberglaubens ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in China. Die Nordchinesen mokieren sich öffentlich über den Aberglauben der Südchinesen; frei sind sie aber auch nicht davon.

Was im Westen die Zahl 13 ist, ist in China die 4. Als Grund wird genannt, dass das Zahlwort vier im Chinesischen fast den gleichen Klang hat wie das Wort für Tod. Sie wird aber viel konsequenter gemieden, als die 13 heute von den meisten Menschen bei uns. Man darf zum Beispiel bei einem chinesischen Essen nie 4 Gerichte bestellen und man sollte auch möglichst nicht zu Viert am Tisch sitzen. Chinesen wollen ihre Wohnung und ihr Büro keinesfalls im 4. Stock und in chinesischen Hotels wohnen in diesem Stockwerk immer die Ausländer. Und manchmal gibt es im Fahrstuhl einfach kein 4. Stockwerk zur Auswahl.
Als ich in den ersten Tagen meines Chinaaufenthalts mit meiner Sekretärin zu China Mobile ging, um mir einen Chip für das lebenswichtige Handy zu besorgen, wollte ich aus dem Angebot eine Nummer wählen, die ich mir gut hätte merken können. Meine sonst sehr brave Sekretärin lehnte es aber kathegorich ab, diese Nummer zu bestellen, denn die enthielt gleich drei Vieren. Stattdessen bekam ich eine mit zwei Achten; die Acht ist nämlich eine "Lucky Number". Es ist übrigens sehr ratsam, sich als Ausländer nicht zu sehr über diesen Aberglauben hinwegzusetzen. Wenn alle Chinesen glauben, man müsse Unglück haben, tritt sehr leicht "self fulfilling prophecy" ein. Und wenn der Chef das Unglück gepachtet hat, kann es auch der Firma nicht gut gehen!

Eines der schönsten Beispiele für (süd-) chinesischen Aberglauben ist das berühmte Hochhaus mit dem Loch in Hongkong. Als dieses Haus geplant war, gab es heftige Proteste gegen den Bau. In dem Berg dahinter wohnt nämlich ein Drache. Und der hätte nicht mehr fliegen können, wenn vor seiner Wohnung ein Hochhaus gestanden hätte. Das hätte großes Unglück über die ganze Stadt gebracht, denn in China sind die Drachen überwiegend Glücksbringer und nicht so böse wie in unseren Märchen und Sagen. Aber sie können sehr böse werden! Daraufhin hat der Architekt in dem Hochhaus in der Mitte einige Etagen ausgespart, so dass ein großes Loch in der Mitte des Hauses entstand, wie ein Fenster - für den Drachen. So konnte das Haus auf extrem wertvollem Baugrund gebaut werden und der Drache hat keine Startprobleme. Auch ein schönes Beispiel für die Bedeutung von Kompromissen in China!


Feste

Für Chinesen haben neben dem Chinesischen Neujahrsfest (offiziell: Frühlingsfest) einige andere traditionelle Feiertage eine wichtige Bedeutung: Zum Beispiel der QingMing-Tag (meist im April, an dem sich die Familien versammeln und der Verstorbenen gedenken und das Mondfest im Herbst (meist im September). Zum Mondfest werden spezielle gefüllte kleine Kuchen gebacken und überall verkauft, wie bei uns das Weihnachtsgebäck. Diese Kuchen werden auch verschenkt an Freunde und Geschäftspartner. Wichtig ist eine äußerst aufwendige und dekorative Verpackung. Sie bringen natürlich Glück.
Wenigstens überall, wo es Wasser gibt, Flüsse, Seen oder den Ozean, ist im Sommer das Drachenbootfest sehr populär. Es werden große Regatten gefahren mit den faszinierenden Drachenbooten, in denen ich bis zu 60 Ruderer gezählt habe. Sie werden nur zu diesem Zweck benutzt. In der Gegend, in der wir lebten, wurden sie den Rest des Jahres eingegraben, um sie vor Verwitterung in dem sehr aggressiven Klima zu schützen. Ich finde es besonders bemerkenswert, dass diese Boote genauso aussehen, wie die Wikingerboote Nordeuropas. Allerdings werden sie nicht gesegelt. Ausgangspunkt des Festes soll der Freitod eines berühmten Dichters in historischer Zeit sein. Der hatte sich ertränkt aus Kummer über den erbärmlichen Zustand des Staatswesens. Die Regatten symbolisieren den Versuch, ihn zu retten. Außerdem gibt es auch spezielles Essen: In Blätter eingewickelte Klumpen aus Klebreis. Diese dienen ursprünglich als Fischfutter, um die Fische davon abzuhalten, den Leichnam des Dichters anzuknabbern.

(www.jensfrost.de)
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